Wechselseitiges (Er-)Forschungsprojekt

Dietmar Dath/Mareike Maage: Antilopenverlobung

Bayern 2, Fr 13.12.2013, 21.03 bis 22.08 Uhr

Sprechende Tiere sind so alt wie die Literatur selbst. Niemand wundert sich, wenn die Vögel bei Aristophanes ihr Wolkenkuckucksheim bauen oder wenn bei La Fontaine die Ameise die Grille in ein prekäres Arbeitsverhältnis zwingt. Doch im Stück „Antilopenverlobung“, dem neuen Hörspiel von Dietmar Dath und Mareike Maage, sind die Tiere keine Charaktermasken zur satirischen oder moralischen Erbauung wie in der Fabel, sondern echte Akteure.

Sprechen können die Tiere nicht einfach so, sondern nur weil die Panlinguistin Jutta Villinger (Stephanie Eidt) eine Software entwickelt hat, die auf einer evolutionären Frame-Content-Sprachtheorie basiert und es ermöglicht, die Laute der Tiere in Sprache umzusetzen – mit ein paar charakterlichen, syntaktischen und grammatikalischen Abweichungen von Tierart zu Tierart. Panlinguistisch gedacht soll es bald auch sprechende Pflanzen und Gegenstände geben. Denn der Unterschied zwischen Sprache und Nichtsprache ist der Theorie nach kein qualitativer, sondern lediglich ein quantitativer. Nur bis zu einem bestimmten Punkt ist der Informationsaustausch zwischen einem System und seiner Umwelt noch nicht Sprache. Er wird es, wenn eine Differenz zwischen dem Inhalt (Content) des Informationsaustausches und seinem Rahmen (Frame) fassbar wird: „Drei Haare sind keine Frisur, fünftausend schon“, so erklärt die Panlinguistin die graduellen Abstufungen. Ihre Software rechnet das Noch-nicht-Sprachliche zum Sprachlichen hoch.

Mareike Maage, Dietmar Dath. Foto: Inhoffen e.K. - Freiburg im Breisgau.

Mareike Maage, Dietmar Dath.

Im Zentrum der Handlung des 65-minütigen Hörspiels stehen Mava (Cathleen Gawlich) und Nora (Eva Verena Müller), zwei lesbische Kob-Antilopen, die sich verloben wollen, während die künftige Finanzierung der Forschungseinrichtung von zwei Menschen, den Evaluierern Andrea Sturm (Sigrid Burkholder) und Torben Pfeiffer (Jörg Hartmann), überprüft wird. Die Handlung kommentieren zwei Strauße (Andreas Grothgar und Frank Genser), ein Pärchen Antennenwelse, Kühe, Pferde, ein Schafsbock, ein Buchfink und Marc Hosemann als Papagei.

In der Inszenierung von Regisseur Leonhard Koppelmann hört man einen akustischen Dschungel, in dem die Tiere des öfteren durcheinander reden, kreischen, blöken und quäken. Eine stimmliche Herausforderung für die Schauspieler, die alle mehrere Tiere übernehmen müssen, und eine auditive für die Hörer. Das Buchfinkweibchen Adine (Eva Verena Müller) beispielsweise piepst oft jenseits der Verständlichkeitsgrenze, besonders wenn ihre Äußerungen vom Schwirren oder Flattern der Flügel begleitet werden. Der Papagei Konrad sorgt für Orientierung, indem er immer die aktuellen Stichwörter dazwischenkreischt – was sich im Lauf des Stücks zu einem Running-Gag entwickelt.

Im Ausgleich zur komplexen Sprachgestaltung, die bei diesem Hörspiel hohe Aufmerksamkeit erfordert, ist die Struktur der Handlung vergleichsweise einfach. Ein Handlungsstrang handelt von dem liebenden Antilopenpaar, vor ein paar homophoben Hindernissen. Im zweiten Handlungsstrang wird das ganze Forschungsprojekt bedroht; und ein psychologisierender Konflikt am Rande betrifft die moralische Integrität der Sprachwissenschaftlerin, diskutiert aber zugleich das grundsätzliche Problem von Verstehen und kommunikativem Handeln. Wirklich interessant an Daths und Maages Hörspiel ist – neben den sprachtheoretischen Im- und Explikationen –, dass sich Tier und Mensch in einem wechselseitigen (Er-)Forschungsprojekt befinden. Dass und wie die beiden Antilopen das Ritual der Verlobung verstehen und wie sie es adaptieren wollen, versetzt sie an den Beginn einer kulturellen Evolution. Ebenso wenig wie der Unterschied zwischen Nichtsprache und Sprache ein gegensätzlicher ist, ist es der zwischen Natur und Kultur.

Der Gender-Diskurs, der immer fällig wird, wenn es um nicht heteronormative Beziehungen geht, kommt erstaunlich unaufgeregt und sachlich daher. Das promiskuitive Liebesleben der Antilopen dient – obwohl „natürlich“ – nicht als legitimatorische Grundlage für kulturelle Freiheitsgrade und zeugt von der intellektuellen Redlichkeit der beiden Autoren. Das Einzige, was gegen das Stück spricht, ist nicht etwa, dass man beim ersten Hören nicht alle Aspekte mitbekommt, weil man mit dem Textverstehen beschäftigt ist – dafür gibt es im Netz den BR-Hörspielpool, in dem man das Stück herunterladen und nachhören kann –, was stört, ist, dass es keinen richtigen Schluss hat.

So hängt das Ende in der Luft, als habe man die Gesetze amerikanischer Fernsehserien ein wenig zu gut umgesetzt. Ob wir jemals erfahren werden, wie es mit der Forschung weitergeht? Ob die Evaluiererin Andrea zusätzliches Geld von der EU besorgt und in das Projekt einsteigt? Ob der homophobe Evaluierer Torben dem Strauß seine Liebe gestehen wird? Werden wir es je erfahren? In gewissem Sinn steht die „Antilopenverlobung“ wegen ihrer soap-artigen Struktur komplementär zu Dietmar Daths erzähltechnisch komplizierteren 12-stündigem Hörspielgroßprojekt „Die Abschaffung der Arten“ (Kritik hier).

Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 51-52/2013

Mehr zu Dietmar Daths in diesem Blog findet man hier.

 

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