Und doch. Ferdinand Kriwet 1942 – 2018

Nachruf auf den Hörspielmacher und Künstler Ferdinand Kriwet

Ferdinand Kriwet, Dezember 2017. Bild: Bettina Brach.

Ferdinand Kriwet, Dezember 2017. Bild: Bettina Brach.

Der Text seines letzten Stücks „Radio-Revue“, den er wie alle seine Hörtexte römisch durchnummeriert hat, trägt die Nummer XIX und trägt den Untertitel „Ich brauche jemanden, der mich mir zurückgibt“. Ein „ungeheuerlicher Satz“, sagte Kriwet selbst dazu im Jahr 2014, den er mit 18 Jahren geschrieben habe und der auch seine aktuelle Lebenssituation widerspiegle. Am 17. Dezember 2018 ist der große Hörspielmacher, Mixed-Media-Künstler und Schriftsteller in Bremen im Alter von 76 Jahren einem Krebsleiden erlegen.

Als verlorener Sohn eines Gastwirts und einer nervenkranken Mutter wurde Ferdinand Kriwet am 3. August 1942 in Düsseldorf geboren. Seine Jugend verbrachte er in verschiedenen Internaten. Zunächst bei der Herrnhuter Brüdergemeine im Schwarzwald, ein Jahr sogar in einem Waisenhaus in Solingen und schließlich fünf Jahre im niedersächsischen Bad Sachsa. Dort schrieb er den Roman „Rotor“ – ein ‚Rundbuch‘ ohne Anfang und Ende auf 116 einseitig bedruckten, unpaginierten Seiten, auf denen sich in einem absatzlosen Fließtext in radikaler Kleinschreibung und ohne Interpunktion ein rotierend-ewiges Fortschreiben sich vollzieht. Als das Buch 1961 im Kölner DuMont-Verlag erschien, war Ferdinand Kriwet gerade mal 19 Jahre alt. Zur gleichen Zeit bestempelte er Rundscheiben mit bis zu zwei Metern Durchmesser mit Schrift in konzentrischen Kreisen: Er nennt sie „Sehtexte“. Keine Typografiken zum bloßen Betrachten, sondern lesbare Literatur.

1962 entsteht sein erster „Hörtext“ für das Radio, der Titel: „Offen“. Es folgten 17 weitere mit Titeln wie „One Two Two“, „Pause“, „Radioselbst“ oder „Dschubi Dubi“. Für den Hörtext XI, „Radioball“, wurde er 1975 mit dem ‚Karl-Sczuka-Preis für Hörspiel als Radiokunst‘ ausgezeichnet. Kriwets Stücke beschäftigten sich mit dem Fußball, dem amerikanischen Wahlkampf, der Mondlandung – und vor allem waren es Stücke über das Radio selbst, das er zum Tanzen brachte, indem er ihm seine eigene Melodie vorspielte. Am 31. Dezember 1983 lief sein Hörtext XVII auf dem Sendeplatz des WDR-„Zeitzeichen“ und verdichtete das Historienformat auf seine floskelhaft wiederkehrenden Bestandteile.

Ferdinand Kriwet: Partitur zu "One Two Two".

Ferdinand Kriwet: Partitur zu „One Two Two“ In: Klaus Schöning (Hg.): Neues Hörspiel. Texte Partituren. Frankfurt (Suhrkamp) 1969.

Nach 1983 hat man fast drei Jahrzehnte lang fast nichts mehr von Ferdinand Kriwet gehört. Erst 2010 entstand auf Initiative der Hörspieldramaturgin Ulrike Brinkmann beim Deutschlandradio Kultur die Collage „Hörwerk/Frühwerk“ (Hörtext XVIII), die die Wiederentdeckung Kriwets als Hörspielautor einleitete. 2011 widmet ihm die Kunsthalle Düsseldorf eine große Retrospektive unter dem Titel „Yester’n’Today“; in diesem Zusammenhang wird auch ein aus dem Jahr 1964 stammendes „Exposé für ein BeatTheater“ wiederentdeckt. Die Hörspielmacher Christian Wittmann und Georg Zeitblom machen daraus für das Deutschlandradio Kultur eine furiose Hörcollage in zehn Formteilen namens „BeatTheater 2011“ (vgl. FK 13/11). Parallel dazu realisierte der Schriftsteller, Lautpoet und Hörspielmacher Michael Lentz für den Bayerischen Rundfunk eine Radiofassung von Kriwets Erstlingsroman „Rotor“ (Kritik hier). Im Jahr darauf inszenierte Ferdinand Kriwet selbst sein literarisches Debüt als „rotoradio“ in Hörspielform (Deutschlandradio Kultur; vgl. FK 30/12). Sein avantgardistischer Debütroman hat sich auch fünfzig Jahre nach seiner Entstehung als frisch und ausgesprochen radiophon erwiesen. Der Roman endet – wenn man bei einem Rundbuch überhaupt von einem Ende reden kann – mit den Worten „und doch“.

Kriwets selbst entworfene Trauerkarte umläuft ein Schriftband mit dem Text „AGAIN AND AGAIN“. Wie sein letzter Hörtext XIX, die „Radio-Revue“, eine indirekte Autobiografie sein sollte, die zugunsten des Kunstwerks den Künstler aussparte, wird Kriwets Werk weiter durch die Medienwelt rotieren und an ihn erinnern. So, wie er selbst es beschrieben hat: „Trotz Abschiedsschmerz: und doch.“

Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 2/2019

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