Reenactment hochkomischer Exaltationen

PeterLicht: Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends

Deutschlandradio Kultur, Mo 17.6.2013, 0.05 bis 1.00 Uhr

Unter Freunden historischer Schlachten und unter Machern modernen Theaters ist das sogenannte Reenactment ein beliebte Art, Historisches oder Dokumentarisches ‘wiederaufzuführen’. Von den hochartifiziell überformten Stücken eines Eran Schaerf (vgl. FK 31/09) über die diskret-subversiven Strategien von Hofmann & Lindholm (vgl. FK 6/08) bis zu den politischen Interventionen von Milo Rau (vgl. FK 17-18/13) reicht das Spektrum der Umcodierung durch Wiederholung. Auch der Theatermacher Patrick Wengenroth hat mit seiner Serie „Planet Porno“ auf dem Theater und in drei Hörspielen (vgl. FK 41/05) Zitate von Medienberühmtheiten wie etwa dem Torwart Oliver Kahn, dem Ex-Porno-Star Michaela Schaffrath oder dem Modemacher Wolfgang Joop von gegengeschlechtlich besetzten Schauspieler rezitieren lassen, ohne in vordergründiges Karikieren zu verfallen.

Wengenroth „akzeptiert, dass, wo Heino draufsteht, auch Heino drin ist, und spiegelt das mediale Bild wider, das diese von sich entwerfen“, schrieb ich damals, was aus aktuellem Anlass ergänzt werden muss. Denn mit der Platte „Mit freundlichen Grüßen“ hat Heino nach über 50 Jahren Bühnenpräsenz sein erstes Nr.-1-Album vorgelegt, das aus nichts anderem besteht als aus Coverversionen deutschsprachiger Popsongs von den Ärzten bis Rammstein.

Man hat Heino, eine Kunstfigur, deren Klarnamen Heinz Georg Kramm man kennt, also in eine nietenbesetzte Lederjacke gesteckt, ihm eine Stromgitarre umgehängt und als neues Label einen Totenkopf mit blonder Perücke und Sonnebrille verpasst. Wo Heino draufsteht, ist aber nichts drin (außer dem, was man einfüllt), und vielleicht ist er deshalb der erfolgreichste Reenactor dieses Jahres. Auch wenn man merkt, dass keine Haltung oder tiefere Reflexion hinter dem großsprecherisch „Das verbotene Album“ genannten Projekt steht, sondern eine ironiefreie Kopie mit überartikulierten Endsilben.

Im Gegensatz zu Heino weiß man von dem Musiker, Schriftsteller und Theatermacher PeterLicht wenig, nicht einmal seinen Klarnamen. Er lässt sein Gesicht nicht filmen und auf Fotos schwebt immer ein Gegenstand vor seinem Kopf. Als er 2007 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt den Text „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ las – der die Basis für Patrick Wengenroths aktuelle Hörspielinszenierung lieferte –, war er nur von hinten zu sehen und bei einem Auftritt in der „Harald Schmidt Show“ nur im Anschnitt ohne Kopf.

Das Vertrackte an dem auf Deutschlandradio Kultur gesendeten Hörspiel „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ ist die Fortsetzung der medialen Identitätsverweigerung. Der Mann, der sich PeterLicht nennt, arbeitet konsequent daran, die Differenz zwischen der Kunstfigur PeterLicht und dem medialen Bild dieser Figur aufrechtzuerhalten.

Im Hörspiel von Patrick Wengenroth ist selbst das Identitätsmerkmal der Stimme verschwunden. Wengenroth liest den umständlich betitelten Text selbst und gibt als PeterLicht der Radiomoderation Anja Caspary (von der RBB-Welle Radio Eins) ein Interview. Auch die Songs singt Wengenroth nach, zum Beispiel das wunderschöne und nun auch schon wieder fast sieben Jahre alte „Lied vom Ende des Kapitalismus“ aus dem Jahr 2006. So ist Patrick Wengenroth die Fortsetzung von PeterLicht mit anderen Mitteln, und hätte bei diesem Hörspiel eigentlich die Autorschaft für sich reklamieren sollen.

Der größte Unterschied zwischen den „Planet-Porno“-Stücken, in denen auch schon fleißig Popsongs nachgesungen wurden, und den rund 55 Minuten des aktuellen Hörspiels besteht in der Qualität des Textes. Statt Medienpromis, die sich um Kopf und Kragen reden (wie pünktlich zur Ursendung die Techno-DJane Marusha in der „Welt“ vom 15. Juni: „Angela Merkel leuchtet durch ihre Aura; sie strahlt stärker als Gorleben“), ist PeterLichts Text „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ eine Abfolge hochkomischer Exaltation, bei der sich in der immer präziseren Beschreibung eines Sachverhalts derselbe in sein Gegenteil verkehrt. Ein „gutes Sofa von hoher Qualität mit einem dementsprechend hohen Sitzkomfort“ wird im Verlauf der Erzählung immer schäbiger, bis es schließlich „unangenehm nach angesengten Polymerenketten und reinkarniertem Erdöl riechend“ in einer Explosion verschwindet. Wohlgemerkt, nicht der Gegenstand macht eine Entwicklung durch, nur dessen Beschreibung.

Gleiches gilt für die finanziellen Verhältnisse des Erzählers, die sich innerhalb eines Absatzes von ganz okay bis zu einer anwachsenden Flut von „Minusgeld“ (vulgo Schulden) entwickeln. PeterLicht mache „Jazz im Helge-Schneiderschen Sinne“, zitiert Wengenroth einmal zu oft den begeisterten Juror Klaus Nüchtern aus Klagenfurt im distanzlosen O-Ton (!). Und ebenfalls einmal zu oft zu hören ist, wie Harald Schmidt PeterLicht als den „Mann des Sommers“ anmoderiert. Auch ohne von Patrick Wengenroth reenactmentmäßig wiederaufgeführt worden zu sein: Recht haben die beiden schon.

Jochen Meißner Funkkorrespondenz 26/2013

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