Murphys Gesetz

Mareike Maage/Rafael Jové/Nikolai von Koslowski: Wenn’s der Wahrheitsfindung dient. 1968 – eine deutsche Bildstörung

ARD-Kulturwellen, So 17.08.2014, 22.30 bis 0.00 Uhr

Im Jahr 2008 produzierte der Westdeutsche Rundfunk (WDR) im Rahmen seines Programmschwerpunkts „’68 aftershow“ das Stück „Idee und Realisation“ – eine Art Familienaufstellung, in der sich Mutter Revolution, Vater Konterrevolution und Tochter Revolte gegenüberstanden. Angereichert um O-Töne von Herbert Marcuse bis Harald Welzer hatte der Regieberserker D.W. Meissner daraus unter dem riskanten Einsatz aller radiophonen Mittel ein überwältigendes Stück gemacht (vgl. FK 11-12/08), bei dem vieles hätte schiefgehen können, jedoch letztendlich alles geglückt war, weil Form und Inhalt in ihrer jeweiligen Komplexität zu Deckung gebracht wurden. Autorin von „Idee und Realisation“ war Mareike Maage, die auch für das Manuskript zu der 90-minütigen Radiosendung „Wenn’s der Wahrheitsfindung dient. 1968 – eine deutsche Bildstörung“ mit verantwortlich ist.

Doch schon bei der Einordnung der Gattung gibt es die ersten Irritationen. Hört man da einer Gesprächssendung zu, in der ein Alt-68er-Moderator einen Kunsthistoriker interviewt, oder eine Sendung, die hinter den Kulissen dieses Live-Formats spielt? Oder handelt es sich vielleicht um eine Metaerzählung über das Radio und dessen Hintergründe, denn dauernd kommentiert eine allwissende Erzählerin (Irm Hermann) das Geschehen und referiert Details aus den Biografien der beiden Gesprächspartner.

Dass „Wenn’s der Wahrheitsfindung dient“ nicht nur der Titel der Sendung der Autoren Mareike Maage und Rafael Jové wie des Regisseurs Nikolai von Koslowski ist, sondern auch der eines (fiktiven) Radiotalk-Formats, erfährt man erst nach Minute 60 und ebenso, dass „1968 – eine deutsche Bildstörung“ der Titel eines Films ist, über den die ganze Zeit geredet wird. Vorher war immer nur vage von „dem Werk“ oder „dem Film“ die Rede. Bei diesen Unsauberkeiten handelt es sich schlicht um grobe handwerkliche Schnitzer, die ein Maximum an Irritation erzeugen, weil sie nicht etwa auf eine allgemeingültige Abstraktion des eigentlichen Gegenstandes hinzielen, sondern den Erzählrahmen beschädigen, in dem sich das Stück abspielt.

Detlef Berentzen, renommierter Radioautor und als „Dr. Feelgood“ kompetenter Blogger für die „taz“, gibt mit seiner an den früheren ARD-Auslandskorrespondenten Friedhelm Brebeck erinnernden Stimme den Alt-68er als Moderator Manfred Beier. Der Schauspieler Torben Kessler spricht dessen Gegenspieler, den 40-jährigen Juniorprofessor Daniel Rehbein, dessen (unbetitelte) Publikation über „den Film“ Gegenstand des Gesprächs ist. Beide können sich nicht so recht miteinander anfreunden, was nicht nur daran liegt, dass emotionales Miterleben auf kühle Analyse trifft, sondern auch daran, dass Papier geredet wird. Der Anschein, einem spontanen Gespräch beizuwohnen, entsteht nie, denn weder stimmen die Sprechhaltungen noch gibt es Indizien dafür, dass es um die Differenz von Rolle und Schauspieler geht.

Die wenig bekannten O-Töne des ehemaligen SFB-Intendanten Franz Barsig, des Philosophen Herbert Marcuse, der einstigen „Konkret“-Journalistin Ulrike Marie Meinhof oder von Akteuren der Studentenbewegung (wie Rudi Dutschke) bringen ein bisschen historisches Kolorit in die Sendung und illustrieren die Themen Sprache, Erziehung, Sex und Geschlechtergleichheit anno 68 und deren Bedeutung für gegenwärtige Diskurse. Doch die formale Unentschiedenheit der Autoren zwischen einer nachgestellten Gesprächssendung und einem featurehaften Erklärstück wirkt sich auch auf den Inhalt aus. Die Argumentationen erscheinen oft sprunghaft und die wenigen analytischen Erkenntnisse waren in dem Stück „Idee und Realisation“ erheblich prägnanter und präziser formuliert.

Manchmal geht gemäß Murphys Gesetz eben alles schief, was schiefgehen kann, und ausnahmslos alle Beteiligten an dem Stück haben schon des Öfteren bewiesen, das sie zu weit mehr fähig sind, als sie es hier demonstriert haben. Anstatt den Beitrag irgendwo auf der Kulturwelle der produzierenden Landesrundfunkanstalt (hier des RBB) zu versenden, lief er bundesweit im Rahmen des sommerlichen „ARD-Radiofestivals“ bei allen neun Kulturwellen des Senderverbundes. Was einmal mehr beweist, dass es sich rächt, wenn man den Rundfunkföderalismus aushebelt, um beim Radio noch Einsparpotenziale zu realisieren.

Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 33/2014

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