Leidenschaften und Lebenslügen

Ulrike Müller: Das Projekt bin ich

RBB Kulturradio, So 27.07.2014, 14.04 bis 15.00 Uhr

Es ist Sommer. Die Theater machen Ferien und die Kulturwellen der ARD werden ab 20.00 Uhr zusammengeschaltet. Zwischen dem 19. Juli und dem 13. September 2014 verzichten die einzelnen Landsrundfunkanstalten auf ihre Programmhoheit, sparen sich ihre abendlichen Hörspieltermine und nennen das ungeniert „Radiofestival“. Nebenbei demonstrieren sie damit, wie wenig Programm man mit den Einnahmen aus den Rundfunkbeiträgen machen kann, ohne dass sich jemand aufregt. Weniger Sendetermine, das heißt weniger Neuproduktionen, weniger Übernahmen und damit auch weniger Wiederholungshonorare. Subventioniert wird das System gesellschaftlich finanzierter Kultur (nicht nur im Radio) vom künstlerischen Personal, das für die Erfüllung des Kulturauftrags sorgt, und zwar durch Gehaltsverzicht, wiederkehrendem Hartz-IV-Bezug und künftige Altersarmut.

Wie das im Einzelnen aussieht, erzählen in Ulrike Müllers 55-minütigem, halbdokumentarischem Hörspiel „Das Projekt bin ich“ vier Schauspielerinnen und ein Schauspieler unterschiedlichen Alters: Martina Hesse, Franziska Kleinert, Katrin Steinke, Ernestine Tzavaras und Alexander Schroeder. Das Stück basiert auf einer Theaterinszenierung an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin, für die Ulrike Müller 2012 von der Zeitschrift „Theater heute“ zur Nachwuchsregisseurin des Jahres gewählt wurde.

Die Schauspielerinnen und der Schauspieler, die meisten DDR-sozialisiert, berichten von einem Berufsleben, das eigentlich keines mehr ist. Denn in der DDR war Schauspieler noch eine geschützte Berufsbezeichnung, in der Bundesrepublik ist Schauspielen nur noch eine „ausgeübte Tätigkeit“. Für 90 Prozent der so Tätigen ist die Beschäftigungslage prekär. Die Abendgagen befinden sich im freien Fall und das Anhaltische Theater Dessau schreckt nicht einmal davor zurück, für eine Inszenierung 0 Euro Regiegage (plus Fahrtkostenerstattung für ein Ticket 2. Klasse mit Bahncard 50) anzubieten. Wenigstens das Stück darf man sich selbst aussuchen.

Wenn die ehrlichste Form der Anerkennung die finanzielle ist, dann gehört man als Schauspieler zu einer eher wenig respektierten Berufsgruppe. Dass die Schauspieler/inne-n im Stück trotzdem nicht in selbstmitleidiger Larmoyanz versinken, verdankt sich ihrer Spielfreude und der unterhaltsamen Art und Weise, wie sie ihre Leidenschaften und Lebenslügen präsentieren. Strukturiert wird das Hörspiel durch eine Variante des Gesellschaftsspiels „Stadt, Land, Fluss“. Nur dass hier Namen, Orte, Stationen, Familienzusammenhänge und Zukünfte abgefragt werden.

Manchmal wird der Text einer Figur auf mehrere Schauspielerinnen verteilt und so werden beispielsweise in einer temporeichen und amüsanten Parallelmontage die Pros und Kontras einer Anna-Karenina-Inszenierung in Aachen gegeneinander aufgerechnet. Von der miesen Bühnenfassung bis zum finalen Regieeinfall versucht sich die Protagonistin, ihre erste Ansehrolle schönzureden, und dennoch endet alles in einem Desaster – einem physischen für sie und einem künstlerischen bei der Kritik. Im Nachhinein kann man darüber lachen.

Dass aber Selbstausbeutung auch Ausbeutung ist, nämlich der Raubbau an den eigenen Kräften, wird in dem Stück nicht verschwiegen. „Eine leise Verachtung der Materie Geld gegenüber“, wie sie eine der Akteurinnen empfindet, mag für den eigenen Seelenhaushalt hilfreich sein, aber von der mies bezahlten Arbeit an noch so guten „Projekten“ kann man seine Fixkosten nicht bestreiten. Die Akzentverschiebung darauf, dass nicht die nächste Inszenierung, sondern man selbst das Projekt sei, ist in doppelter Hinsicht problematisch. Denn letztlich kommt dabei keine Selbstverwirklichung heraus, sondern nur die Unterwerfung unter das neoliberale Diktat, ein „flexibler Mensch“ (Richard Sennett) sein zu müssen, in einer Welt, die ein permanentes Bewerbungstraining ist.

Den letzten Schritt, nämlich die Implikationen ihrer prekären Verhältnisse für das Schauspielen selbst zu reflektieren, wie es des Öfteren in den Inszenierungen von René Pollesch vorkommt, machen die Akteure nicht. Denn die sind eh gewöhnt zu tun, was die Regie will, wie es am Anfang konstatierend heißt. Der Horizont, in dem sich die Arbeit von Ulrike Müller bewegt (konzeptionell unterstützt von Ricarda Bethke) liegt im Stil von Theatergruppen wie Rimini Protokoll oder She She Pop, die ihre Figuren als Experten in eigener Sache inszenieren. So wird der Mensch in seiner Gesamtheit Objekt der künstlerischen Ausbeutung und nicht nur seine Fähigkeiten im Beruf. Paradoxerweise funktioniert es in der Kunst (und nur da), die Akteure – hier den Schauspielerinnen und dem Schauspieler – als Figuren in ihrem eigenen Spiel nicht zu denunzieren, sondern ihnen ihre Würde zu belassen.

Jochen Meißner – Funkkorrespondenz 30-31/2014

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