Im Netz der Postmoderne

Das 18. Hörspielforum NRW: Sich einmal wie Goliath fühlen

Das diesjährige 18. Hörspielforum NRW vom 28. bis 30. September im Funkhaus des Westdeutschen Rundfunks (WDR) am Kölner Wallrafplatz stand unter dem Motto „Wieder hol es!“ und hatte damit einen bedeutungsträchtigen Titel. Dies zum einen, weil es Anliegen eines solchen Treffens ist, das Hörspiel wieder in die öffentliche Wahrnehmung zurückzuholen. Zum anderen, weil sich die bedrohte Kunstform selbst allzu oft wiederholt. Das gilt für die inhaltliche Wiederholung, etwa in Bezug auf die zahlreichen Roman- und Theateradaptionen, wie auch für die ästhetische, in Bezug auf imitatio und (selten) aemulatio der rar werdenden Hörspielgranden. Aber das Festhängen im Netz der eklektischen Postmoderne ist ja ein allgemein bekanntes Phänomen.

Am Beginn der Veranstaltung stand eine kurze Einführung von Moderatorin Randi Crott. Sie rief das rund 50 Teilnehmer starke Plenum dazu auf, in den kommenden drei Tagen die eigenen Grenzen auszutesten. Was die Zusammensetzung der Forumsteilnehmer betraf, waren die Voraussetzungen dafür schon mal nicht allzu schlecht. Ob aus dem Bereich der Hörbuchverlage oder dem der Rundfunkhörspiele, von Sprechern, Autoren und Dramaturgen bis hin zu Redakteuren, Regisseuren und Produzenten, von Feature-Machern bis hin zu Musikern und Soundart-Künstlern – alle am Medium Hörspiel interessierten Berufsgruppen waren vertreten. Der Umgang miteinander war zwar nicht gänzlich enthemmt, aber doch grenzüberschreitend ungezwungen.

Das Fehlen einer Terminologie

Schwerpunktmäßig fand die Arbeit in den fünf einzelnen Seminaren bzw. Workshops überwiegend praktischer Natur statt. An Ende der drei Tage standen wie jedes Jahr die in den Seminaren erarbeiteten und im Plenum vorgestellten „Kurzhörspiele“, die sich als sehr gelungen erwiesen. Die Workshops standen bereits mit ihren Titeln wie „Inszenierung/ Performance“ (Leitung: Tim Staffel), „Textarbeit“ (Birgit Kempker), „Experimentelle Soundarbeit“ (Dirk Dresselhaus) oder „Stimme und Aufnahme“ (Ulrich Bassenge) beispielhaft für die vielfältigen Möglichkeiten der Herangehensweise an die Produktion eines Hörspiels. Das Seminar „Hörspielkritik“ (Johannes Ullmaier) befasste sich, trotz der naturgemäßen Fokussierung auf Theorie, mit der Erarbeitung praktisch nutzbarer Kriterien einer Hörspielbesprechung.

Johannes Ullmaier, Literaturwissenschaftler an der Universität Mainz, brachte eine überparteiliche Perspektive mit, die mit seiner überraschend großen Hörerfahrung und Theorieversiertheit im Hörspielbereich eine ideale Symbiose bildete. So stand am Anfang die sachliche Feststellung, dass es den Kritikern an einer hörspielspezifischen Terminologie mangelt. Stattdessen werden Sprache und Analysekriterien von den „großen Geschwistern“ der Film-, Literatur-, Theater- und Musikkritik entliehen. Das ist eine mehr als traurige Feststellung. Denn schon die Besetzung von Hörspielrollen muss wegen ihrer puren Stimmenfixierung gänzlich anders diskutiert werden als in Film oder Theater. Die Tiefe oder Oberflächlichkeit des Klangraumes wäre ein weiteres wichtiges Analysekriterium. Und nicht zuletzt: Wie unterscheidet man Hörspiel und Hörbuch objektiv?

Stattdessen reduziert sich der Fokus von Hörspielkritik meist nur auf die erzählerische resp. darstellerische Geschlossenheit der Geschichte und deren Unterhaltungswert – wieder eine Übernahme aus anderen Kulturbereichen. Vielleicht ist das aber auch eine Folge des Verschwindens der Hörspielkritik aus den Feuilletons der Tagespresse und selbst aus den Kulturmagazinen im Radio.

Reformopfer direkt vor der Nase

Natürlich gab es auch diesmal wieder eine lange Hörspielnacht in der urigen Kneipe namens „Lederer“ gegenüber dem WDR-Funkhaus. Von den jeweils etwa zehn Minuten langen Hörspielausschnitten fand einer den deutlich größten Anklang: Es handelte sich um das Stück „Das Radio ist nicht Sibirien“, eine Produktion des Studiengangs „Experimentelles Radio“ an der Bauhaus-Universität Weimar, geschrieben von Rafael Jové – eine exzellente Parodie auf die im Hörfunk fleißig wuchernde Unkultur der Musikrotationssendungen mit angeschlossenem, meist austauschbarem Moderator.

Eine Persiflage auf eine dieser hegemonial werdenden Sendungen kommt nur im Hörspiel zu voller Entfaltung, da sie nur hier ihre Vorlage auch satirisch überhöhen kann. Jovés Stück sprach aus, was wohl alle anwesenden Hörspielfreunde über die in destruktiven Reformen mündende Quotenfixiertheit der Programmdirektoren dachten, worüber seltsamerweise aber kaum bis gar nicht gesprochen wurde, weder offiziell noch informell. Dabei hatte man das jüngste Opfer einer solchen auf Massenkompatibilität zielenden Programmreform direkt vor der Nase: die Anfang Juni gegen massiven Widerstand von Hörern wie Redaktionen umstrukturierte Kulturwelle WDR 3 (vgl. FK 6/12, 9/12, 18/12, 21-22/12 und 23/12).

Von den im Plenum gehörten Referaten hatte das letzte besonders engen Bezug zum Thema Hörspiel. Der Autor und Dozent Martin Ganteföhr beschäftigte sich im Vortrag „Teilchenphysik für digitale Erzähler“ mit seinem Spezialgebiet, dem interaktiven Erzählen. Dieser im Bereich der Videospiele originäre Zweig muss den sich in einer mehr oder weniger offenen Welt bewegenden Rezipienten nicht ins Nirvana der Beliebigkeit des Fortgangs der Geschichte schicken. Wichtig ist vor allem, dass die auseinanderlaufenden Erzählstränge immer wieder an festen, „verpflichtenden“ Kulminationspunkten einer dann wieder linearen Hauptstory zusammenlaufen. Ein bedeutsamer Punkt und eine Erkenntnis, die für die mit den bereits stark verbreiteten Smartphones aufkommenden interaktiven Hörspiele sicher nutzbar gemacht werden könnte.

Nachvollziehbare Berührungsängste

Kostengünstig sollen Hörspiele heute vor allem auch sein. Das schlägt sich zum einen in der verstärkten Auslagerung der technischen Realisierung zum Autor hin nieder. Zum anderen werden verstärkt öffentlich-private Partnerschaften geschlossen, die in letzter Konsequenz jedoch vor allem kommerzielle Hörbuchverlage subventionieren. Insofern sind die vorhandenen Berührungsängste von öffentlichen zu kommerziellen Hörspielmachern nachvollziehbar. Noch nachvollziehbarer werden sie, betrachtet man die oft sehr eindimensionale Hörbuchästhetik, die sich auf Vorlesen und innere Bühne beschränkt.

So wird wohl der Kampf um Erhalt und Wiederbelebung des Hörspiels in den verschiedenen Bereichen des Kulturbetriebs weiter ohne starke Bündnisse auskommen müssen. Um für diesen Kampf beim einzelnen aber die Moral zu stärken und um sich umschauen zu können, was sich in der Hörspielszene überhaupt tut, bleibt eine Veranstaltung wie von der Film- und Medienstiftung NRW ausgerichtete Hörspielforum NRW (Organisation: Anke Morawe) auch künftig unersetzbar. Hier ist das Hörspiel so zeit- und raumgreifend präsent wie sonst das ganze Jahr nicht – in der großen medialen Welt, in der dieses einzig genuine Radiogenre sonst nur noch die Rolle des David zukommt, können sich die Hörspielmacher dann zumindest drei Tage lang wie Goliath fühlen.

Rafik Will – Funkkorrespondenz 42/2012

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