Homöopathisch aufklärerischer Gegenzauber

Elfriede Jelinek: Wirtschaftskomödie. 6-teiliges Hörspiel

Bayern 2, sonntags 12.04.15 bis 17.05.15, jeweils 15.05 bis 16.00 Uhr /
Deutschlandradio Kultur, montags 13.04.15 bis 18.05.15,  jeweils 0.05 bis 1.00 Uhr

„Souverän ist, wer eigene Risiken in Gefahren für andere zu verwandeln vermag und sich als Gläubiger letzter Instanz platziert“, schreibt der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl in seinem neuen Buch „Der Souveränitätseffekt“. Seit der globalen Finanzkrise 2008 ist deutlich geworden, dass nicht mehr nur der souverän ist, der über den Ausnahmezustand entscheidet, wie es noch der Staatsrechtler und Nazi-Sympathisant Carl Schmitt formuliert hatte. Heute haben sich das politische und das finanzkapitalistische System wechselseitig durchdrungen und Unsicherheitszonen der Souveränität geschaffen. Den Begriff des Risikos wollte Schmitt für den reservieren, der auf eigene Gefahr (und eigene Rechnung) handelt, und dem Versicherungswesen zuordnen. Heute bieten die, die von den staatlichen Souveränitätsdefiziten profitieren, Risikoversicherungen gegen eben jene selbst geschaffenen Unsicherheitszonen an. Die Versicherungsprämien bezahlen andere, in der Regel die Kleinanleger und die Steuerzahler. Auf eigene Rechnung gehen nur die Gewinne jener Gläubiger letzter Instanz, die sich als systemrelevant installiert haben.

Gemeinsam ist beiden Systemen, dem politischen wie dem wirtschaftlichen, dass sie im Wesentlichen auf Sprachhandeln und dessen mehr oder weniger gewaltförmiger Durchsetzung beruhen. Die Literatur – auch im Wesentlichen Sprachhandeln – ist in der Lage, die Mechanismen offenzulegen, mittels derer durch Sprache Bedeutung bzw. in der Wirtschaftskommunikation Geld erzeugt wird.

Im Jahr 2009 veröffentlichte Elfriede Jelinek den Theatertext „Die Kontrakte des Kaufmanns“ und als Fortsetzung einen Dreiakter mit dem ironischen Titel „Aber sicher!“. Ergänzt um den aktuellen Epilog „Warnung an Griechenland vor der Freiheit“ bilden beide Stücke nun das sechsteilige Hörspiel „Wirtschaftskomödie“. Die Koproduktion von Bayerischem Rundfunk (hier herunterladbar) und Deutschlandradio Kultur (hier nachhörbar) wurde von Regisseur Leonhard Koppelmann realisiert, der auf jeden Überbietungsgestus gegenüber dem Text verzichtet und lediglich mit dezenten Hallräumen, verschiedenen Sprechhaltungen, chorischen Passagen und ein paar wenigen Nachrichten-O-Tönen arbeitet. Etwa 80 Prozent der Theatertexte sind in die Hörspielfassung eingeflossen. Redundanzen, Variationen und Wiederholungen sind also nicht unbeabsichtigte Überbleibsel, sondern Programm.

Jelineks „Wirtschaftskomödie“ basiert auf einer realen Vorlage, nämlich einem österreichischen Bankenskandal um die traditionsreiche Privatbank Julius Meinl, deren undurchsichtiges Geschäftsgebaren viele Kleinanleger um ihre Ersparnisse gebracht hat. Jene Meinl-Bank will so gar nichts mit dem Meinl-European-Land-Immobilienfonds oder anderen Unternehmen mit dem Namen Meinl zu tun haben und verklagt jeden, der anderes behauptet. Was sie nicht daran hindert, mit ihrem Namen profitable Lizenzierungsgeschäfte zu machen. „Wir heißen nur so, aber wir sind es nicht“, ist die von Elfriede Jelinek permanent variierte Formel mit der die Autorin auf die Negation einer klassischen Funktion der Sprache verweist, nämlich die Bezeichnung etwa von Sachverhalten, Gegenständen oder Personen. Planvoll und vorsätzlich wurden im Fall Meinl selbst Eigennamen ihrer Bedeutung entkleidet.

Dieser Umgang mit Sprache kann in der Literatur mehr oder weniger ästhetischen Mehrwert generieren, auf dem Feld der Ökonomie jedoch kann er sogar noch viel mehr bewirken: eine wundersame Geldvermehrung. Nämlich indem man, was letztlich zur sogenannten amerikanischen Subprime-Immobilienkrise führte, mehrfach verschachtelte forderungsbesicherte Finanzderivate verkaufte, deren ursprüngliche Forderungen aber nie haben eingetrieben werden können.

Weil auf Anhieb niemand versteht, wie man als Anleger in so ein basisloses Nichts investieren konnte und wie aus dem Spannungsverhältnis „hart zwischen Nichts und Nichts“ auch noch Gewinne und Extraprofite (Gebühren und Zinsen) erzielt worden sind, darum wird das in dem insgesamt fünfeinhalbstündigen Stück mehrfach wiederholt und variiert und variiert und wiederholt. So lange, bis einen die mentalen Sicherungen herausfliegen, weil man begreift, dass das alles nicht so gemeint war mit der Ver-, Be- und Absicherung von Risiken, jedenfalls nicht für den Endanleger. Denn dem soll nur das Ersparte erspart werden. Außerdem soll ihm beigebracht werden, dass der eigene Wert über die besessenen Werte definiert wird, Schuld und Schulden (sowie Schulden und Schuld) in einem kausalen Verhältnis stehen und Erlös und Erlösung eng zusammenhängen. Natürlich sind die Spielereien mit Homophonien und Polysemien, wie immer bei Elfriede Jelinek, auch dem Spaß am Kalauern zuzuschreiben, wenngleich hier die Wortfelder der Finanzwelt auffallend religiös konnotiert sind – wie ja auch Kredit von Credo kommt.

Anders als das ökonomische Sprachhandeln, das ganze Gesellschaften ins Elend stürzen kann, ist Elfriede Jelineks Nachvollzug eben dieses Sprachhandelns auf ästhetischer Ebene über manche Passagen lediglich etwas anstrengend. Das Hörspiel zeigt auf, wie Permutation und Variation als literarische Verfahrensweisen der Avantgarde Einzug in die Wirtschaftskommunikation gehalten haben. Insofern sind in der „Wirtschaftskomödie“ die Informationen über komplexe Verschleierungszusammenhänge lediglich das Nebenprodukt eines homöopathischen, aufklärerischen Abwehrzaubers, der Ähnliches mit Ähnlichem bekämpft. Dass die literarische Qualität einer Elfriede Jelinek im Rating um Klassen besser dasteht als die rhetorischen Taschenspielertricks der Finanzbranche, steht außer Frage. Dafür ist die Finanzbranche in ihrer Effizienz einfach effektiver, wie man gerade am Beispiel Griechenland beobachten kann, wo eigene Risiken erfolgreich als Gefahren für andere realisiert worden sind.

Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 12/2015

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