Hörspiel des Monats November 2018

Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen

von Susann Maria Hempel

Musik & Regie: Susann Maria Hempel
Redaktion: Mareike Maage
Produktion: RBB
Ursendung: RBB Kultrurradio, 28.11.18, 22.03 Uhr
Länge: 54:31

Die Begründung der Jury

Es fällt schwer, zu glauben, dass „Auf der Suche nach den verlorenen Seelenatomen“ erst Susann Maria Hempels zweite Radioarbeit sein soll, so souverän hat die Autorin, Komponistin, Sängerin, Regisseurin, und einzige Sprecherin dieses Kunstwerk gestaltet.

Sie spricht darin die Unterhaltung mit einem durch seine Haft in der ehemaligen DDR schwer traumatisierten Menschen nach: Der Schock der unrechtmäßigen Inhaftierung selbst als vermeintlicher Republikflüchtling, aber auch die Misshandlung durch Mitgefangene und die Angst vor ihr haben ihn so weit aus der Bahn geworfen, dass ihm nicht mehr gelingt, seinen Alltag zu organisieren, wichtige Entscheidungen zu fällen, sich einer Fremdbestimmung zu widersetzen, oder auch nur diese Unfähigkeit anderen gegenüber zu verbalisieren, als mit seiner Gesprächspartnerin.

„Dangge Susann, Dangge dass ich dadrüber redn konnte, jetze,“, mit diesen Worten, leicht gehetzt in thüringischer Sprachfärbung gesprochen, beginnt das Hörstück. „das konnt ich jetze eigntlich wörklich bloß mit Dir.“ Hempel lässt in ihrer monologischen Wiederholung dieses Dialogs die Zuhörenden dessen große Intimität miterleben, ohne seine Vertraulichkeit zu verraten. Es geht um die Auflösung des Ich und den Versuch seiner Rekonstruktion: „Ich hab keine Erinnerung mehr an mich. Wenn ich mich aber unterhalt‘, jetzt so mit dir jetze, dann kann ichs geistig zurückholen.“ Der Weg dorthin führt, es ist eine deutsche Geschichte, in den Wald der Kindheit, eine Art Privatmythos, den sich der Erzähler mit seinem Freund geschaffen hat, dessen kürzlicher Tod als Auslöser des Bekenntnisses angedeutet wird.

Durch kompositorisch reduzierte und elektronisch entfremdete hochromantische Liedsätze, Schumanns Eichendorff- und Heine-Vertonungen, durchbrochen von digitalem Vogelgezwitscher, Rotkehlchen und Zilpzalp, erschafft Hempel in und um diese Erzählung eine Atmosphäre, in der das, was wir Seele nennen, nahezu greifbar, ihre Verletzungen erfahrbar, und die Metaphern die ihrer Beschreibung dienen sollen, wirklich werden: Erfahrbar nur durch den intimen Sinn des Gehörs, schrecklich und schön. Selbstverständlich ist dieses vom RBB als Feature gesendete Werk Susann Maria Hempels das Hörspiel des Monats November.

Eine lobende Erwähnung im Sinne eines zweiten Preises spricht die Jury aus für Leonhard Koppelmanns bild- und klanggewaltige Hörspielfassung und -inszenierung von Kurt Vonneguts Antikriegs-Klassiker „Schlachthof 5“ in – endlich! – einer gelungenen Neuübersetzung (Gregor Hens) (SWR).

Das Hörspiel wird am Samstag, den 5. Februar 2019 im Deutschlandfunk (DLF) wiederholt.

Die Nominierungen

BR, Rudolf Herz/Julia Wahren: Desperados oder Hitler geht ins Kino
DLF Kultur, Ulrike Janssen / Daniel Matter: Meerschallschwamm und Schweigefang
HR, Anne Krüger: Supermarkt
MDR, Stanislaw Lem: Der Unbesiegbare
NDR, John Fante: 1933 war ein schlimmes Jahr
RB, Volker Kutscher: Der nasse Fisch
RBB,  Susann Maria Hempel: Auf der Suche nach den Seelenatomen
SR,  keine Nominierung
SWR, Kurt Vonnegut: Schlachthof 5
WDR, Paul Plamper: Der Absprung

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