Hörspiel des Monats Juni 2018

Meine Erinnerungen reißen mich in Stücke

Cristin König. Bild: Anke Beims / DLF Kultur.

Cristin König. Bild: Anke Beims / DLF Kultur.

Frei nach Motiven aus Mary Shelleys biografischen Notizen
von Cristin König
Regie: Cristin König
Komposition: Friederike Bernhardt
Redaktion: Ulrike Brinkmann
Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2018
Erstsendung: DLF Kultur, 03.06.2018
Länge: 69:24‘

 

 

Die Begründung der Jury

Das Monster spricht. Schauspieler Steven Scharf verleiht ihm die schmeichelnde Stimme eines Liebhabers, der sich sicher ist, dass aller vorgetragener Widerstand gegen ihn nur pro forma geleistet wird. Weil die Bindung zu seiner Schöpferin ewig währt: „ich bin aus deiner Seele rausgesprungen“, erinnert es Mary Shelley gleich im Prolog von Cristin Königs Hörspiel „Meine Erinnerungen reißen mich in Stücke…“ (DLF Kultur, Regie: die Autorin, Komposition Friederike Bernhardt). Und als sich die früh gealterte Shelley, gespielt von Julika Jenkins, ziert und der Ehre der Autorschaft widersetzen will, beharrt das Monster aufdringlich, penetrant, unwiderstehlich: „deine Seele hast du mir eingehaucht“. Nein, aus dieser süßen Gefangenschaft wird es seine Schöpferin eben so wenig entlassen, wie es ihr die Frage beantwortet, warum alle tot sind: ihr geliebter Percy, Lord Byron, John Polidori, die ganze Gesellschaft aus deren Gesprächen in der Villa Coligny am Genfer See Frankenstein entstanden war, in jener Nacht im Sommer 1816 …

Auf packende und zugleich hochliterarische Weise spürt Autorin König damit – in mokanter Umkehr einer trivialen biographistischen Herangehensweise – dem Einfluss des Werks aufs Leben der Autorin nach und weckt deren Erinnerung mittels einer faszinierenden Montage aus Bonmots, Gewaltfantasien, Zitaten und Gedichtauszügen der teuren Toten, ganz wie Shelleys Romanheld sein Geschöpf aus Leichenteilen zusammenfügt. Durch realistische Geräusche (Flügelschlagen, Donner, Kaminknistern) entstehen Klanglandschaften, die sich, dank Friederike Bernhardts diskreter Kunst mal unterlegt mal durchkreuzt ,von artifiziellen atmosphärischen Sounds, von Cellospiel und elektronisch bearbeiteten Gesängen in Gedächtnis- und Seelenräume verwandeln, durchweht von subtilem Grauen. Dieser Umgang mit literarisch-kulturellem Erbe und seiner Last musealisiert es nicht, sondern belebt es geradezu unheimlich und fesselt die Hörer.

Necati Öziris Heimatgeschichte „Get deutsch or die tryin’“ (Regie: Volkan T Error / WDR) erhält eine lobende Erwähnung im Sinne eines zweiten Preises. Sie erzählt mit stark Hiphop-geprägter Ästhetik von einem jungen Mann der sogenannten dritten türkischen Einwanderergeneration, Arda Yilmaz, der sonst mit seiner Gang rumhängt, aber seinen 18. Geburtstag auf dem Ausländeramt verbringt, um sich einbürgern zu lassen in die deutsche Gesellschaft, die Migration wie eine Erbkrankheit behandelt: Verletzlich, rabiat und direkt wie eine Lifeschaltung ins Ghetto ohne Schutzfilter, sozialpädagogische Herablassung oder Klassenhass von einem Ensemble gesprochen, das nicht nur so tut, als wüsste es Bescheid.

Das Hörspiel wird am Samstag, den 6. Oktober 2018 im Deutschlandfunk (DLF) wiederholt.

Die Nominierungen

BR, Michaela Melián: Music form a frontier town
DLF, Dennis Metaxas: Nach Venus Liebe Terror
DLF Kultur, Cristin König: Meine Erinnerungen reißen mich in Stücke
HR, Ezra Pound: Cantos
MDR, Tina Müller: Gespräche über uns – Unfinished Business
NDR, Sadegh Hedaya: Die blinde Eule
RB, keine Nominierung
RBB, Daniela Herzberg: Home Care
SR, Christoph Buggert / Liquid Penguin Ensemble: Ein Nachmittag im Museum vergessener Geräusche
SWR, Claudia Weber: Erlösung. Ein Making-of
WDR, Necati Öziri: Get deutsch or die tryin‘

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.