Groteske Realitätswahrnehmungen

Tom Heithoff: Der Aufstand

SWR 2, Di 11.07.2017 , 19.20 bis 19.58 Uhr

Dass es auch die Reichen im Lande nicht leicht haben, ist ein Topos, der in Seifenopern und Degeto-Filmen ausführlich traktiert wird. Nun sind heulsusige Selbstinszenierungen als Opfer nicht das Privileg von Netzfeministinnen, AfD-Sympathisanten und US-Präsidenten, auch die Vermögenden gerieren sich gerne als Opfer einer Neidgesellschaft und machen damit die Kritik an wachsender Ungleichheit zu einer der sieben Todsünden. Offensichtlich leben wir in einer Gesellschaft, in der sich nicht einmal die herrschende Klasse ordentlich amüsieren kann oder darf.

Vor diesem Hintergrund spielt Tom Heithoffs 38-minütiges Hörspiel „Der Aufstand“, das von der Filmstiftung NRW gefördert wurde. Denn in der Szene der sogenannten Leistungsträger regt sich Widerstand gegen die immer weiter sinkenden Preise und die Unmöglichkeit, das hart erarbeitete (oder hart ererbte) Geld auch angemessen ausgeben zu können. Deshalb müssen die Preise kräftig steigen. Einer der namenlosen Protagonisten, gespielt von Dominik Stein, will sich im Drei-Sterne-Restaurant nicht mit Schnäppchenpreisen abspeisen lassen und kann sich gar nicht genug darüber echauffieren, dass er quasi darum betteln muss, einen echten Pelz kaufen zu dürfen, weil selbst die Verkäuferin jemanden, der so ein politisch unkorrektes Produkt kaufen will, für nur wenig besser als einen Robbenbabyschlächter hält – und sie auch kein Trinkgeld akzeptieren will.

Stein bringt die Figur des gekränkten Reichen so glaubwürdig rüber, dass man sich über weite Strecken des Hörspiels fragt, ob es sich nicht doch um eine reale Figur handelt, die der Autor bei der Recherche gefunden hat – wüsste man nicht, dass Dominik Stein schon in mehreren Hörstücken von Tom Heithoff aufgetreten ist, so zum Beispiel als Gegenspieler von Lorenz Eberle in Heithoffs Arbeitslosensatire „Hundelebensberatung“.

Eine andere Facette des Typus ‚unglücklicher Reicher‘ bildet Helmut Winkelvoss ab, der schon in dem Kurzhörspiel „Salzwasser“ (2011), das die Dialektik von Herrn und Knecht aufs Drastischste und Komischste ausgeführt hat, den Herrn gegeben hatte. Einige Audioschnipsel aus „Salzwasser“ sind auch in „Der Aufstand“ zu hören. Winkelvoss ist kein Schauspieler, sondern ein Radioperformer wie Lorenz Eberle, der übrigens hier in einer kleinen Nebenrolle als überforderter Außenreporter auftritt. Zudem tritt noch Winkelvoss’ Ehefrau Christine als reiche Erbin auf.

Dass man Tom Heithoffs Stück für ein unkommentiertes O-Ton-Feature halten könnte, ist nicht nur der Machart geschuldet, sondern auch einer kommunikativen Kultur, in der sowohl in den sozialen als auch den redaktionellen Medien noch der absurdeste Unsinn Likes und „Genauso-isses“-Kommentare bekommt. Das Mittel der grotesken Überspitzung, das Heithoff schon in seinem Kurzhörspiel „Salzwasser“ eingesetzt hatte und bei dem man immer zwei Nummern gröber verfahren muss, als man gerade noch für möglich hält, ist nicht ganz unproblematisch. Denn wie unterscheidet man das Komische eines Tom-Heithoff-Hörspiels von der Lächerlichkeit zum Beispiel eines Donald-Trump-Tweets?

Nein, es ist nicht die Länge. Auf inhaltlicher Ebene ist es die detailgenaue Beobachtung und sprachlich überzeugende Darstellung des Milieus einer sich selbst bemitleidenden Elite. Und es ist das Aufblitzen klarer Gedanken unter der larmoyanten Oberfläche. Winkelvoss will schließlich kein Egoist sein. Es soll ordentlich Bewegung auf seinem Konto herrschen, aber wenn einem die Konsumgüter nur so nachgeworfen werden, geht das eben nicht. Und damit das Geld nicht verfällt, so Stein, „müssen Sie irgendetwas kaufen, was Sie gar nicht brauchen, und ich will ja nicht etwas kaufen was ich nicht brauche, sondern ich will mein Geld ja dafür benutzen, dass ich das, was ich brauche, auch kaufe.“ Letzteres formuliert das ideale Credo des Kapitalismus. Doch auch die Anschaffung von Rennpferden bringt nur kurzfristig Entlastung auf dem Konto, zumal es nicht die nervös-tänzelnden Araber sein dürfen, sondern eher bodenständige deutsche Ackergäule – wegen der sozialen Ausgrenzung, die allerorten auf die Wohlhabenden lauert.

Keiner kann sich so schön in Rage reden wie Dominik Stein, wenn es darum geht, wie unmöglich es ist, einen Kaschmirmantel zu tragen oder ein offenes Cabrio zu fahren, ohne angespuckt oder beschimpft zu werden. Nach diesem Hörspiel weiß man, dass die Reichen hierzulande eine unterdrückte, misshandelte und erniedrigte Klasse sind. Und weil sie nichts zu verlieren haben als ihre Ketten, rüsten sie sich zum Aufstand, der sich aber lediglich als mondäne Demonstration der Millionäre in Paris manifestiert.

Auf formaler Ebene schärft das Mittel der grotesken Überzeichnung in Heithoffs Hörspiel den Sinn für die segmentierten Realitätswahrnehmungen in der Gesellschaft. Denn die Membranen der Filterblasen werden immer undurchlässiger, was ein Einzelfall an anekdotischer Evidenz liefert, wird sofort zu einem Trending Topic aufgeblasen und endet schlimmstenfalls als self-fulfilling prophecy. Die Lage ist also ernst, aber nicht unkomisch.

Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 15/2017

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