Dokumentation, Hermann Bohlen: Ruhestand mit Knuddelkissen

Diese Art Horrorstücke: Das Hörspiel „Lebensabend in Übersee“

Von Hermann Bohlen

Dass man sich mit dem Thema Altwerden beschäftigt, liegt in der Natur der Sache: Der Mensch wird älter. Irgendwann fängt er an, sich Notizen zu machen, sammelt Ideen, Nachrichten, Details. Im März 2001 war ich alt genug:

Hermann Bohlen: Skizze 14. März 2001

Jaqueline Hain, Hans-Dieter Hain (Stv. Bundesvorsitzender Bund der Kriegsblinden Deutschlands e.V.), Hermann Bohlen(Hörspielautor, nominiert für „Lebensabend in Übersee“), Christina Hänsel (Dramarturgin von „Lebensabend in Übersee“) © Heike Herbertz / Film- und Medienstiftung NRW

Jaqueline Hain, Hans-Dieter Hain (BKD), Hermann Bohlen („Lebensabend in Übersee“), Christina Hänsel (WDR)
© Heike Herbertz / Film- und Medienstiftung NRW

Beschäftigt hat mich dann die Debatte, die losbrach, als ein Altersheim für Demenzkranke zu gewitzt mit dem Problem umging, dass die Demenzkranken häufig wegliefen. Sie gingen in der Regel zur nächsten Bushaltestelle, erkannten also Haltestellen-Schilder. Was macht die Heimleitung? Sie lässt auf dem Gelände des Altersheims Haltestellen mit H-Schildern bauen. Damit war das Problem der Wegläufer gelöst: Sie liefen zur nächsten oder übernächsten Haltestelle und stellten sich dort an, um mit dem Bus nach Hause zu fahren. Es kam aber kein Bus, sondern am Abend der Pfleger, der den Wegläufer mit sanftem Druck wieder zurück ins Heim brachte.

„Zynisch! Das kann man doch nicht machen“, sagten die einen in der Debatte. „Wieso nicht? Ist doch ganz raffiniert-menschenfreundlich“, sagten die anderen.

Was mich interessiert: Wie können eigentlich schreckliche Dinge passieren? Eigentlich gibt es doch genug verständige, kluge und empathische Menschen, selbst an Stellen, an denen Meinungen gebündelt und Entscheidungen gefällt werden. Wie kann es dennoch zu schrecklichen Entwicklungen kommen? Wie könnte zum Beispiel sowas wie das in meinem Hörspiel erlassene „Gesetz zur Vermeidung von Altersarmut“ erlassen werden und Anwendung finden, ohne eine Revolte auszulösen? Das frage ich mich immer.

Hug1„Lebensabend in Übersee“ zeigt einen Moment in so einer Entwicklung. Und dieser Moment – so sehr die Protagonisten auch unter der Gesetzgebung leiden – ist nicht unerträglich. Sie packen ihre Koffer, ohne wild um sich zu schlagen. Auf dem Flug müssen ihnen keine Handfesseln angelegt und ihr Gesicht muss nicht nach unten gedrückt werden, damit sie kein Geschrei machen. Sie richten sich in ihren Resorts ein, entdecken einen Freund, finden jemand, den sie schlecht behandeln können, kiffen, kommunizieren oder bleiben für sich.

Ich möchte keine armen Würstchen zeigen. Ich bin selbst ein armes Würstchen, und die Erlebnisse anderer armer Würstchen zu goutieren, ist mir unmöglich, das erzeugt Panik. Andererseits würde ich es auch nicht als mein persönliches Glück betrachten, wenn die Gesellschaft, vertreten vom Staat, mir eines Tages bedeutete: Das war’s, Freundchen, ab ins Resort! Kann man darauf anders reagieren als panisch, verzweifelt? Ja, das geht! Und das, finde ich, ist der eigentliche Horror. Diese Art Horrorstücke mag ich.

Hug2Natürlich wollte ich auch eine Anspielung an den japanischen Ubasute-Mythos im Stück unterbringen. Ist rausgeflogen. Dafür ist das kuschelige „Hug“-Kissen dringeblieben. Den Zeitungsartikel über diese Entwicklung schnitt ich mir 2004 aus der „New York Times“ aus.

 

 

 

Begründung der Nominierung

Beindruckend ist die Geräuschkulisse aus Hightec, in die Bohlen seine Alten verbannt hat –Computer-Töne, Tasten-Klappern, Skype-Geräusche, schrille Klingeln und dumpfe Warntöne, Signale aller Art, mechanisch klappernde künstliche Sprache. Dazwischen schrill kreischende chinesische Musik. Die nach China ausgelagerten Alten werden nicht von Chinesen betreut, sondern von Robotern, deren Kunststimmen ein falsches Deutsch mit chinesischem Akzent sprechen. Die Jury war beeindruckt, wie ein akustischer Raum geschaffen wird, in dem sich die trostlose Umgebung der Alten verdeutlicht.

Sie skypen und mailen, sonst bleibt als Kontakt die Technik. Die intelligente Wäsche meldet per Computer, wann sie gewechselt werden muss. Frisur und Maniküre werden von Automaten erledigt. Wenn eine Stimme: „Achtung Kobold!“ ruft, dann ist das die Putzmaschine, die klingelnd ins Zimmer rollt um sauberzumachen. Und als Antwort auf Hilferufe schnarrt eine künstliche Stimme „Dienst ohne Dienstmerkmal. Dienst nicht vorhanden“, oder auch: „Versuchs nochmal, Annegret.“ Auch für technische Zärtlichkeit ist gesorgt, da gibt es die Schmusepuppe, die bei Bedarf leicht vibriert. Schließlich kann man ja auch auf dem Computerschirm das Bild des Skype-Partners küssen.

Schönsprech ist in dieser Welt angesagt: Die auslagerten Altersheime heißen Resort, wie eine Ferienoase. Das Abschieben der Alten nennt sich „Vermeidung von Altersarmut“ oder auch „Garantie eines Mindest-Standarts im Alter“, und wenn die Betreiber dieser Heime in fernen Ländern dafür sorgen, dass die Alten aus Renditegründen möglichst schnell sterben, dann heißt das „struktureller Nachteil“. Eine schöne neue Welt.

Es gibt traurig-komischen Szenen, etwa wenn die alte Annegret nun versuchen muss, eine völlig unverständliche Sprache zu lernen, und wie der Ochs vorm Berg vor der Tatsache steht, dass „dschang“ in verschiedener Intonation bedeuten kann: „öffnen“, „vergrößern“, „Stück“, „Kapitel“, „deutlich“, „Vater des Ehemanns“ und noch einiges mehr. Wenn sie versucht, sich mit einem Roboter über das Beziehen von Betten auszutauschen. Wenn sie über Nacht ihr Skype anlassen möchte, damit sie nicht allein ist.

Eine gelungene Satire – nicht allzu weit weg von der Wirklichkeit.

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