Die Top 3 des 64. Hörspielpreises der Kriegsblinden 2015

Aus den 22 Einreichungen der deutschsprachigen Kulturwellen und einer Jurynominerung hat die Jury des 64. Hörspielpreises der Kriegsblinden am 4. März in Hamburg ihre drei Favoriten gewählt. Das Preisträgerstück wird am 4. Mai bekannt gegeben. Die Verleihung findet am 12. Mai beim Deutschlandfunk in Köln statt.

Die drei nominierten Hörspiele können ab sofort bis Mitte Mai auf der Homepage der Film- und Medienstiftung als Stream abgerufen werden.

Ickelsamers Alphabet
vom Liquid Penguin Ensemble
Realisation: Katharina Bihler, Stefan Scheib
Autorenproduktion für den Saarländischen Rundfunk

Die Hörspiele des Liquid Penguin Ensemble mäandern geistvoll zwischen Historie und Phantasie, zwischen dem was war und dem, was auch hätte sein können oder sein sollen. Diesmal steht im Mittelpunkt der deutsche Grammatiker Ickelsamer, der sich im 16. Jahrhundert mit der komplizierten Beziehung zwischen Sprache, Schrift und Gegenstand befasste und jeden einzelnen Buchstaben mit ver
blüffenden Assoziationen beschreibt. Außer ihm ein bizarres Ensemble, eine Großmutter, die alemannische Worte sammelt, zwei Mädchen, die zwischen den Fabelwesen eines naturhistorischen Museums nach Fabel-Wörtern suchen, ein französischer Grammatiker-Kollege, der mit dem Dutzend Möglichkeiten hadert, ein o zu schreiben.

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Ickelsamer-Collage: Katharina Bihler

 

Die Jury:
„Ein Vergnügen, wie Buchstaben zum Tönen, Singen, Schnurren, Hauchen, Klingen gebracht werden. Dieser höchst amüsante Chor wird von Sprechern vorgetragen, die mit Lust zwischen Klängen und Sprachen wechseln, vom französisch-ü zum tönenden o, das Pferde zum Halten bringt, von alemannischen Brocken zum altmodischem Deutsch der Renaissance, zum Französisch. Die Musik von Stefan Scheib verstärkt oder konterkariert die tönenden Buchstaben. Liquid Penguins Spiel mit Realität wird hier zum höchst amüsanten Spiel mit der Realität von Sprache selbst.“

 

Klaus Barbie – Begegnung mit dem Bösen
von Peter F. Müller, Michael Mueller und Leonhard Koppelmann
Regie: Leonhard Koppelmann
Produktion: Westdeutscher Rundfunk

Dieses dokumentarische Hörspiel zeichnet den Lebensweg des berüchtigten Naziverbrechers Klaus Barbie nach, der seine Karriere als Folterer und Mörder nach der Nazizeit fortsetzen konnte: als Waffenhändler und Berater der Militärdiktatur von Bolivien. Dorthin konnte er 1951 mit Hilfe von CIA und Vatikan fliehen. Das Stück beruht auf beeindruckender Recherche, benutzt Aufzeichnungen und Originaltöne von Barbie selbst, und Dokumente von zahlreichen Zeitzeugen, vor allem Beate Klarsfeld, die Barbies Alibi in Bolivien knackte und letztendlich seine Auslieferung nach Frankreich und Verurteilung bewirkte.

 

Autor Peter F. Müller, Schauspieler Felix von Manteuffel (spielt Klaus Barbie) und Regisseur Leonhard Koppelmann (v. li.) (Bildrechte: WDR/Anneck)

Autor Peter F. Müller, Felix von Manteuffel (spielt Klaus Barbie), Regisseur Leonhard Koppelmann (Bild: WDR/Anneck)

Die Jury:
„Höchst kunstvoll sind die beeindruckenden Dokumente ineinander verflochten: Barbies eigene Erzählung seines Lebens, stolz auf seine Verbrechen, von keinerlei Einsicht oder Reue getrübt, in geradezu heiterem Plauderton; und der Krimi, wie Beate Klarsfeld ihm auf die Spur kommt und nach ihn nach vielen Rückschlägen endlich stellen kann. Besonders beeindruckten die Sprecher, Felix von Manteuffel, der Barbies schriftliche Memoiren spricht, die beiden Kommentatoren, die mit trockener Sachlichkeit Unglaubliches aus der Welt des Bösen zu berichten wissen. Ein erschreckendes Stück Zeitgeschichte, ein beeindruckendes Stück Radiokunst.“

 

Lebensabend in Übersee
Sha Ji Jing Hou Ein Huhn schlachten, um die Affen einzuschüchtern
von Hermann Bohlen
Regie: Judith Lorentz, Hermann Bohlen
Produktion: Westdeutscher Rundfunk

Wohin mit den alten Menschen, deren Pflege die Sozialkassen zu teuer kommt? In Bohlens böser Satire werden Senioren per Gesetz in Billigländer ausgelagert. Nur wer ein hohes Vermögen nachweisen kann, darf in Deutschland bleiben, alle anderen, also fast alle, müssen weg – je weniger Rente, umso weiter. So findet sich Annegret in China wieder und versucht, eine vertrackt komplizierte Sprache zu lernen, der etwas vermögendere Leopold musste nur bis Polen immerhin noch in Europa. Per Skype sind sie in Kontakt.

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Judith Lorentz, Hermann Bohlen

 

Die Jury:
„Beindruckend ist die Geräuschkulisse aus Hightec, in der die Alten leben – Computer-Töne, Tasten-Klappern, Skype-Geräusche, Signale aller Art, Kunststimmen der Roboter, die statt Menschen die Senioren betreuen und gern im entscheidenden Moment mit einer Fehlermeldung aufwarten. Ein aktuelles Thema wird satirisch zugespitzt mit traurig-komischen Szenen wie dem völlig unverständliche Chinesisch-Unterricht, dem Versuch, mit Robotern sinnvoll zu kommunizieren, der Kampf gegen die Einsamkeit mit allem, was IT zu bieten hat.“

 

Die Jury des 64. Hörspielpreises der Kriegsblinden

Kriegsblinde: Klaus Bartels, Dr. Paul Baumgartner, Johann Dressing, Hans-Dieter Hain (stellvertretender Vorsitzender des Bundes der Kriegsblinden in Deutschland e.V.), Erich Kuttner, Melanie Schäfer.
Fachkritiker: Dieter Anschlag (Medienkorrespondenz), Anna Dünnebier (Autorin, Vorsitzende der Jury), Thomas Irmer (Freier Journalist u.a. Theater heute), Jenny Hoch (Freie Journalistin), Petra Kammann, Eva-Maria Lenz (Freie Journalistin, FAZ, epd), Diemut Roether (epd medien), Hans-Ulrich Wagner (Universität Hamburg).

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