Der Himmel ist ein Campingplatz

David Lindemann: Pan Familia

Deutschlandradio Kultur, Mo 01.02.2016, 0.05 bis 1.00 Uhr

Die Lage ist folgende: Während in Dresden ein dumpfer Mob meint, dass ausgerechnet von ihm das Abendland gerettet werden müsste, schwappt durch die Kommentarspalten der sogenannten Qualitätspresse eine Welle irrationalistischer Gegenaufklärung hoch, wie sie die Bundesrepublik in ihrer jüngeren Geschichte noch nicht erlebt hat. Der Bundesinnenminister zieht über Taxi fahrende Flüchtlinge her und die Salon-Faschisten einer Partei, die sich Alternative für Deutschland (AfD) nennt, wollen auf Flüchtlinge schießen lassen. „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte“, sagte der Maler Max Liebermann in einer ähnlichen Situation.

Diesen Kontext, so bedrückend er ist, braucht es, um zu ermessen, was für ein beglückendes Gefühl es ist, mit diesem Thema leicht und lustig umzugehen, wie es David Lindemann in seinem neuen Hörspiel „Pan Familia“ tut. Ausgangspunkt seines Stücks ist ein Aufnahmelager, in das Charlotte (Charlotte Müller) und ihre 14-jährige Tochter Lilith (Lilith Stangenberg) kommen, nachdem sie bei einem Autounfall auf der A3 ums Leben gekommen sind. Zu ihrer Überraschung sieht der Himmel aus wie ein besserer Campingplatz und sie bekommen auch gleich einen schönen Stellplatz mit einem Wohn­wagen der Marke „Hymer Eriba Pan“.

Kurz nach der Ankunft treffen sie auf ihre Nachbarin Anne (Anne Tismer), die nur ein paar Sätze braucht, um sich als größte passiv-aggressive Nervensäge vor dem Herrn zu erweisen. Charlotte und Lilith wähnen sich in dieser Szene wie vor einem Ein-Frau-Willkommenstribunal und möchten den Erstkontakt am liebsten noch einmal wiederholen. Im Theater hätten die Akteure für diese Exposition Szenenapplaus bekommen.

Seit „der Vorbesitzer“ – Lindemanns Chiffre für den Gott des Jenseits – die Verantwortung für den Platz an die Camper übergeben hat, wird er von einer bürgerlichen Mitte-Links-Koalition verwaltet, in der „die Ränder hinten-rechts und vorne-links ihre Interessen nicht mehr vertreten wissen und sich radi­kalisieren“, wie der Platzwart Herr Detemple (Andreas Schmidt) den Neuankömmlingen erklärt. Damit ist die allegorische Folie aufgespannt und die Handlung kann sich entwickeln.

Neben dem Campingplatz soll ein separierter Bereich für jene aufgemacht werden, die für den Tod der anderen verantwortlich sind – die Täter, zu denen auch Charlottes Mann gehört. Denn der soll seinen Wagen, so steht es in den Akten „bewusst und vorsätzlich“ in den Gegenverkehr gelenkt haben. Eine Version, die die Tochter bestreitet, sie macht die „krankhafte Übereffizienz und Super-Hinkriegerei“ ihres Vaters für den Unfall verantwortlich.

Die Frage nach Schuld, Sühne und Vergebung bleibt, nachdem sich der Vorbesitzer vom Jenseits verabschiedet hat, bei den Menschen hängen. Wie nun also umgehen mit den Tätern? Anne, die angstgetriebene Nervensäge, organisiert eine Petition gegen das neue Sammel­lager und sie bedient sich dabei einer ursprünglich linken Rhetorik. Die klingt zwar, als sei Anne eines herrschaftsfreien Diskurses fähig, leugnet aber dessen Voraussetzungen, nämlich die Gleichheit aller Diskursteilnehmer. Ziel von Annes Agitation ist der Chor, der in diesem musikalischen Hörspiel sehr schön ein paar gospelartige Songs singt – und der ihr auch auf dem Leim geht.

Weil „Pan Familia“ aber eine Komödie ist, geht es letztendlich gut aus. Der Vater zieht mit falschen Papieren in das neue Wohnwagenmodell „Pan Familia“ ein und Annes Irrationalismus wird mit Hilfe des Irrationalismus besiegt. Wie das genau passiert, wird am Ende des 55-minütigen Hörspiels etwas unscharf geschildert. Es spielen dabei aber ein paar Wasseradern, Elektrosmog und ein Wünschelrutengänger eine Rolle.

David Lindemann ist hier das Kunststück gelungen, im Setting eines elysischen Flüchtlingscamps höchst diffizile politische und theologische Fragen zu diskutieren. Die Dialogführung überrascht immer wieder mit unerwarteten Pointen und der Autor hat seine Figuren so gezeichnet, dass man selbst für Anne eine Konträrfaszination entwickelt, wie die für Alfred Tetzlaff in Wolfgang Menges Fernsehserie „Ein Herz und ein Seele“. Dem spielfreudigen Ensemble und dem Chor hört man förmlich die Erleichterung an, die Debatte um das gesellschaftliche Zusammenleben jenseits der hysterisierten Kontroverse zwischen Separation und Integration führen zu können. „Pan Familia“ ist nicht nur das Stück der Stunde, sondern ein Hörspiel, dessen Fragen einem auch nach der Sendung im Kopf herumgehen.

Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 3/2016

Öffentliche Vorführung am Sonntag, den 21.02.2016 um 19.30 Uhr im Heimathafen Neukölln. Anschließend Publikumsgespräch mit dem Autor, Moderation: Vito Pinto.

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