Dem unbekannten Gott

Von Heinrich Böll bis Feridun Zaimoglu: Religion im Hörspiel

Seit Professor Bur-Malottke aufgrund von theologischen Bedenken in zwei seiner Radiovorträge das Wort „Gott“ durch den Ausdruck „jenes höhere Wesen, das wir verehren“, ersetzen haben wollte, weiß man, dass es mit der Religion im Hörfunk nicht so einfach ist. Nicht einmal in grammatikalischer Hinsicht, denn – so muss Rundfunkredakteur Dr. Murke den Professor belehren – bei dem Wort Gott wird der kasuale Bezug nicht deutlich. Deshalb benötigt „jenes höhere Wesen, das wir verehren“, zehn Nominative und fünf Akkusative, sieben Genitive, fünf Dative und sogar einen Vokativ: „Oh, du höheres Wesen, das wir verehren.“ Besonders anspruchsvoll gestaltete sich die Umwidmung der Redewendung „um Gottes Willen“, die die Formulierung „um jenes höheren Wesens, das wir verehren, Willen“ erforderte. Sichtlich entnervt sprach Bur-Malottke die neuen Formulierungen ein und musste dann auch noch den Intendanten wegen der zeitaufwendigen Änderungen um eine zusätzliche Sendeminute bitten.

Dr. Murkes gesammeltes Schweigen (HQ)So geschehen in Heinrich Bölls 1958 geschriebener Satire „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“, die 1964 vom Hessischen Rundfunk (HR) mit Dieter Hildebrandt in der Titelrolle verfilmt wurde. Ein findiger Programmmacher hob den Schwarzweiß-Film anlässlich des Todes von Dieter Hildebrandt im November 2013 zu nächtlicher Stunde noch einmal ins deutsche Fernsehprogramm. Zum Hörspiel wurde Heinrich Bölls satirische Erzählung übrigens erst 1987 eineinhalb Jahre nach dessen Tod (vgl. FK 5/87); die Regie bei der Produktion führte Hermann Naber. Humor ist ein eher seltenes Stilmittel in der Beschäftigung mit Gott. Das gilt auch für das Hörspiel, das sich in den vergangenen Jahren tatsächlich auffallend häufig mit Gottesvorstellungen, den Religionen und religiösen Praktiken beschäftigt hat.

„Oh my God!“

Das verstärkte Interesse der Künste an Gott lässt sich ziemlich genau auf den 11. September 2001 datieren, als es religiös motivierten Terroristen nicht nur darum ging, möglichst große Zerstörungen anzurichten, sondern zugleich möglichst schreckliche Bilder zu produzieren. Die Tat und ihre mediale Vermittlung wurden kurzgeschlossen. So sind denn auch die Religionskrieger der Terrororganisation, die sich „Islamischer Staat“ nennt, nicht nur bereit, für ihren Gott zu sterben, sondern vor allem dazu, für ihn zu töten und ihre Gräueltaten gleich selbst propagandistisch auszuschlachten.

Da hilft nicht einmal mehr die sarkastische Version des Vokativs zur Anrufung Gottes, die im amerikanischen Kino für den Ausdruck höchsten Entzückens wie auch höchsten Entsetzens steht. In seinem Hörspiel „Underværket“ (Danmarks Radio 2006) – das vom Südwestrundfunk (SWR) 2008 als„Das Wunderwerk oder The RE-Mohammed-TY Show“ auf Deutsch produziert wurde (vgl. FK 29/08) – lässt der Dramatiker Christian Lollike deshalb die Intonation des Ausrufs „Oh my God!“ so ausführlich proben, damit er auch angemessen ergriffen klingt. Was soll man auch anderes sagen, wenn der Komponist Karlheinz Stockhausen in seiner berühmt gewordenen Pressekonferenz den Anschlag auf die beiden Türme des World Trade Centers in New York zum „größten Kunstwerk, was es je gegeben hat“, erklärt, bei dem „fünftausend Leute in die Auferstehung gejagt“ wurden? Lollike nahm Stockhausens kunstreligiöses Statement ernst und stellte in seinem Hörspiel die Frage, ob die permanenten Hungerkatastrophen im Werk „Never Ending Africa“ in seiner Abstraktheit nicht vielleicht doch ein größeres Kunstwerk seien als „Die zwei Türme“.

Im deutschsprachigen Hörspiel bemühte man sich in Sachen Gott zunächst einmal um eine Bestandsaufnahme. In seinem O-Ton-Hörspiel „Gnosis oder die Moabiter“ (vgl. FK 7-8/11) versammelt Oliver Sturm Aussagen von Mitgliedern kleiner und kleinster religiöser Gemeinschaften vorwiegend aus dem Berliner Stadtteil Moabit, dessen Name sich vom Stamm Moab ableitet. Schon zuvor hatte Sturm nach dem Vorbild eines Passbildautomaten einen sogenannten Gebetomaten gebaut, der „die kleinste Form eines spirituellen Raums“ und ein „Archiv des Betens in der Welt“ darstellt und mehr als 300 Gebete der verschiedensten Religionsgemeinschaften enthielt. Weil darunter auch eines der sich selbst als Kirche bezeichnenden Scientology-Organisation enthalten ist, durfte der Automat in Hamburg nicht aufgestellt werden.

Bestandsaufnahmen

Im Gegensatz zu den individuellen religiösen Erfahrungen bei Oliver Sturm listete der französische Schriftsteller Valère Novarina 311 Gottesdefinitionen aus Religion, Philosophie und Literatur auf, die von Leopold von Verschuer im Jahr 2011 zu dem vielstimmigen Hörspiel „Dem unbekannten Gott“ montiert wurden (vgl. FK 50-51/11). Die Definitionen sind oft widersprüchlicher und paradoxaler Struktur, manche sind zu Aphorismen kondensierte Witze: „Baudelaire sagt: Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, nicht einmal zu existieren braucht. […] Diderot findet, dass der Gott der Christen ein Vater ist, der um seine Äpfel viel Aufhebens macht und kaum eines um seine Kinder.“

Gegen die französische Leichtigkeit setzte Andreas Ammer 2013 seine Verhörspielung des Lexikonartikels zum Lemma „GOTT“ aus Ersch/Grubers Kompendium „Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste“. Dazu brauchte Ammer nur eine einzige Stimme, jene der sich hörbar um das Verständnis der Denkwelten des 19. Jahrhunderts bemühenden Katharina Franck. Das Stück „GOTT“ (vgl. FK 36/13) war nicht das erste Hörspiel, in dem sich Ammer mit religiösen Themen beschäftigt hat. Darin ist er eine Ausnahme unter den deutschen Hörspielmachern. Schon 1994 inszenierte er die Offenbarung des Johannes im Hörspiel „Apocalypse Live“ (Hörspielpreis der Kriegsblinden 1995) und im seinem Stück „7 Dances of the Holy Ghost“ (1998) verfolgte er den komplizierten Prozess der Heiligsprechung in der katholischen Kirche, in dem auch die explizite Schilderung der Folterpraktiken des Martyriums der späteren Heiligen nicht ausgespart wurden.

Allen Versuchen der Bestandsaufnahme gemeinsam ist eine Neugier auf das, was es alles gibt in der religiösen Welt. Björn Bickers aktuelles Stück „Urban Prayers“ (BR 2014) gehört prinzipiell auch in diese Reihe. Doch bei Bicker geht es nicht in erster Linie um Feldforschung und Verständnis, sondern um eine dramatische Konfrontation – was nichts Schlechtes ist, wenn man wie in jedem guten Drama die beiden antagonistischen Positionen möglichst stark macht. In Bickers Hörspiel treten drei Stimmen auf, die sich als ein passiv-aggressives Wir konstituieren, welches in Frageform seine religiösen Ansprüche an die Gesellschaft formuliert. Dabei schwankt die Stimmung zwischen Angst, unterschwelliger Verachtung und der permanenten Bereitschaft, sich beleidigt zu fühlen.

Der sich aus Dummheit, Ressentiment und Angst speisenden Haltung des selbsternannten Abendland-Verteidigers, der den „Das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen-dürfen“-Gestus vor sich herträgt, stellt Bicker die nicht weniger bornierte „Was-glaubt-ihr-denn?“-Haltung gegenüber. In so einer Struktur heben sich die Gegensätze nicht auf, sondern steigern sich gegenseitig. Im ungünstigsten Fall bilden sich Parallelgesellschaften und die untergraben die Legitimität eines liberal-pluralistischen Staatswesens. Denn beide Seiten sind sich in der Ablehnung jenes Pluralismus einig, nach dem jeder nach seiner Façon selig werden können soll. Die wahre Konfrontation zwischen theokratischen und demokratischen Gesellschaftskonzeptionen nimmt Björn Bickers Stück „Urban Prayers“ eben nicht ernst.

Vor diesem hörspielhistorischen Hintergrund hat nun der Hessische Rundfunk in Zusammenarbeit mit anderen ARD-Anstalten und dem Deutschlandradio ein auf zwei Jahre und 21 Hörspiele angelegtes „Bibelprojekt“ aufgelegt, in dem zeitgenössische Autoren sich mit Texten, Figuren und Themen der Bibel beschäftigen. Die ersten sechs Stücke sind bereits gelaufen und sie zeigen eine erfreulich große Bandbreite der Auseinandersetzung. Im Folgenden soll es um drei Beispiele aus dem Projekt gehen.

Das Bibelprojekt

Der Kieler Schriftsteller Feridun Zaimoglu schließt in seinem Stück „Paulus“ noch am ehesten an Oliver Sturms Studie über religiöse Subkulturen an. Denn zu Zeiten von Paulus war das Christentum noch eine kleine Glaubensgemeinschaft, die ihren Platz erst noch finden musste. In Zaimoglus Erzählung bedient sich das Frühchristentum ähnlich sektenhafter Mechanismen wie gegenwärtige charismatische Bewegungen: Doppelmoral, Dogmatismus sowie ideologische und personelle Ab- und Ausgrenzung. Passenderweise hat Oliver Sturm hier Regie geführt und die spätantike Handlung mit gegenwärtigen Diskussionen in religiösen Internetforen parallelisiert. Wenn man in heute auf Menschenfang gehenden Sekten nicht bereit sei, „in finanzieller Hinsicht Mitverantwortung zu tragen“, so wird im Stück das schönste Marketing-Deutsch einer Sekte zitiert, ist die Alternative eben immer noch „Illumination oder Elimination“.

Sybille Lewitscharoff ist seit ihrer Dresdner Rede, in der sie Kinder, die durch die „abartigten Wege“ der künstlichen Befruchtung entstanden sind, als „zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas“ bezeichnet hat, beim Feuilleton persona non grata. Für das „Bibelprojekt“ hat sie Kommissar Ellwanger aus ihrem Kriminalroman „Killmousky“ nach Rom geschickt, der dort wegen des Verschwindens einer ganzen Riege von Dante-Forschern zu ermitteln hat. Der Titel des Hörspiels ist „Pfingstwunder“ und er spielt auf die Medientechnik an, mit der das Christentum seinen Siegeszug angetreten hat, nämlich auf das durch die Ausgießung des Heiligen Geistes befeuerte und global verständliche „In-Zungen-Reden“. Doch weder der naheliegende Mediendiskurs wird in dem Hörspiel geführt noch funktioniert das in langen Passagen ziemlich geschwätzige Stück (Regie: Hans-Gerd Krogmann) als Krimi. „Da, wo Poesie sei, müsse auch das Laken angerührt worden sein“, zitiert Lewitscharoff den russischen Schriftsteller Ossip Mandelstam, der fortfuhr: „Dort, wo ein Text mit einer Nacherzählung vergleichbar wird, sind die Laken nicht angerührt, hat die Poesie nicht genächtigt.“

Unterhaltsamer geht es da in der Familientherapie-Sitzung „Abrahams Stunde“ von Doron Rabinovici unter der Regie von Götz Fritsch zu. Abraham, seine Frau Sarah und seine Bedienstete Hagar (die Mutter seines Sohnes Ismael) versuchen ihre komplizierten Beziehungsverhältnisse zu klären. Der israelisch-stämmige Rabinovici, der seit seiner Kindheit in Wien lebt, mithin in der Hauptstadt der Psychoanalyse, versteht es, daraus komische Funken zu schlagen und gleichzeitig einen neuen Blick auf das Fundamentale des Glaubens zu werfen, dem sich selbst der Therapeut nicht entziehen kann. Wahrscheinlich ist es das aufgeklärte Glaubensbekenntnis des „Credo, quia absurdum est“, das gegenüber den mörderischen Fundamentalismen am besten immunisiert.

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Die nächsten beiden Sendungen des „Bibelprojekts“:

Der König findet keinen Schlaf von Terézia Mora
Im Anschluss: „Der Traum des Nebukadnezar – Traumdeutung als Inszenierung der biblischen Mythenproduktion“ von Adrian Gaertner
So 4.1.15, 14.05 Uhr, HR 2 Kultur

King of Kings von Oliver Sturm
Im Anschluss: „Die Samuelbücher – biblische Geschichtsschreibung und literarisches Kunstwerk“ von Walter Dietrich
So 1.2.15, 14.05 Uhr, HR 2 Kultur

Hiob Gesicht Gottes von Thomas Harlan / Michael Farin
Im Anschluss: „DU SCHWARZES NIMM IHN DIR – Hiob, des Teufels Beute?“ von Michael Farin
01.03.15, 14.05 Uhr, HR 2 Kultur

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