Begräbnisrituale

Kleine Radioschau. 20. bis 26. Juli 2012

Bei der Parlamentswahl in Libyen ging die Mehrheit der Sitze mit 120 an unabhängige Kandidaten. Diese werden nun sowohl von der mit 39 Sitzen als stärksten Partei aus den Wahlen hervorgegangenen Liberalen umworben, wie auch von der zweitplatzierten Islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Aufbau. Deren Vorsitzender Mohammed Sawan zeigte sich zuversichtlich, für eine Zweidrittelmehrheit genug von ihnen auf seine Seite zu ziehen.

Aber auch die als »Allianz der nationalen Kräfte« angetretenen Liberalen wollen sich die Ultrareligiösenunter den Unabhängigen nicht entgehen lassen. Deren Vorsitzender Mahmud Dschibril habe sich für die Scharia ausgesprochen, sagte Marietta Schwarz am 12.7. auf Dkultur. So ging an Hansjoerg Strohmeyer, Sonderberater der UN in Libyen ihre Frage, wie säkular die Liberalen wirklich seien. Die lapidare Antwort: »Das mit der Scharia wird häufig überbewertet.« Der Ausgang der Wahl stimme »hoffnungsfroh«.

Dschibril – zunächst Minister unter Ghaddafi, dann Vorsitzender des Nationalen Übergangsrates – hat seine Fähigkeit zum Spagat schon mehrfach unter Beweis gestellt. Besonders schizophren erschien sein Auftritt bei Stephen Sackur im »Hard Talk« der BBC vom 24.11.2011. Dschibril hatte nach Ghaddafis Tod zunächst verkündet, der sei im Kreuzfeuer bei einem Gefecht gestorben. Dann meinte er, Ghaddafi sei auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Ob Dschibril bereit sei, den Tod Muammar Al-Ghaddafis, der doch ein wenig nach Lynchmord aussehe, international untersuchen zu lassen? »Natürlich«, aber »was die Leiche angeht . . . begraben ist begraben.« Die Beisetzung habe schnellstmöglich, also »gemäß islamischem Recht« stattgefunden. Wieso Ghaddafi dann erst mehrere Tage in der Kühltruhe einer Fleischerei ausgestellt worden sei? »Es ist westliche Tradition, eine Leiche aufzubahren«, das könne man ihm doch nicht vorwerfen. Ein Bekenntnis zu interkulturellen Bestattungsritualen. Die Interviews (das zweite nur als Ausschnitt) findet man zum Nachhören auf den Webseiten der entsprechenden Sender.

Im Netz bietet der Hörspielpool des BR die beste Möglichkeit, an Hörspiele zu kommen. Hier werden auch die aktuellen Stücke von 48 nord, »Der kalte Sommer 1912« (Fr., 21 Uhr, BR2) – ein stark technikaffines Stück Soundart, das sich an Wetterberichten orientiert – und die 1912 vom antifaschistischen Expressionisten Carl Einstein zunächst in der Zeitschrift Aktion veröffentlichte Errzählung »Bebuquin« (1.Teil So., 15 Uhr, BR 2) in der Regie von Ulrich Gerhardt zum Download verfügbar sein.

Rafik Will, 20.7.2012 junge Welt

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