Unstimmig

Leonhard Koppelmann: Die Sprache der Gewalt – Deutsche Bank / Herrhausen / RAF

HR 2 Kultur, Fr 29.11.2019, 22.00 bis 23.00 Uhr

Das neue Hörspiel von Leonhard Koppelmann, der in Personalunion Autor, Regisseur und Dramaturg der 60-minütigen Produktion des Hessischen Rundfunks (HR) ist, heißt „Die Sprache der Gewalt – Deutsche Bank / Herrhausen / RAF“. Darin widmet sich Koppelmann einem Opfer linksextremer Gewalt: dem Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, der vor 30 Jahren, am 30. November 1989, im hessischen Bad Homburg durch einen Bombenanschlag getötet wurde, zu dem sich die Terrorgruppe „Rote Armee Fraktion“ bekannte.

Koppelmann ist nicht der erste Autor, der sich mit dem Mord an Herrhausen beschäftigt. 2001 hat sich bereits der Filmemacher Andres Veiel in seinem Dokumentarfilm „Black Box BRD“ dem Thema anhand der Biografien von Alfred Herrhausen und des RAF-Mitglieds Wolfgang Grams genähert. 2014 folgte der Journalist Egmont R. Koch mit der ARD-Dokumentation „Die Spur der Bombe“ (vgl. FK-Kritik). Und bei ZDFinfo lief am 29. November die Dokumentation „Phantom RAF – Der ungelöste Fall Herrhausen“ (vgl. MK-Kritik).

Leonhard Koppelmann interessieren nun weder die Biografien noch die militärtechnischen Aspekte des Anschlags, sondern ihm geht es um die Sprache der Täter aus diversen Bekennertexten und die Sprache des Opfers aus einem ausführlichen Interview, das Herrhausen sechs Wochen vor seiner Ermordung dem Journalisten Gero von Boehm gegeben hatte. Als Zeitzeugen treten noch der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit („Männerphantasien“) und im Telefoninterview der Schriftsteller F.C. Delius auf, die im Wesentlichen als Chronisten und weniger als Analytiker eingesetzt werden.

Koppelmann hat Erfahrung mit sperrigen Texten. Seine Inszenierungen etwa der Stücke von Elfriede Jelinek verleihen den Textflächen Konturen und in ihrer chorischen Umsetzung die Kraft kollektiver Stimmen. Das Stilmittel des chorischen Sprechens (mit Katharina Bach, Kilian Land und Matthias Leja) setzt Koppelmann in „Die Sprache der Gewalt“ auch für die Texte der Bekennerschreiben punktuell ein, die außerdem musikalisch-rhythmisch akzentuiert werden. Dem stehen die weichen Stimmen von Alfred Herrhausen und Gero von Boehm gegenüber, auch sie musikalisch untermalt.

Einem freien Gespräch werden durchformulierte Erklärungen gegenübergestellt, einer authentischen Stimme, die ihren eigenen Text spricht, manifestartige Texte, die von geschulten Sprechern vorgetragen werden. Damit ist die Rollenverteilung klar markiert: hier das individuelle Opfer, dort die anonymen Vertreter der Täter. Doch anstatt, wie im Pressetext angekündigt, zu hören, „wie eine Gruppe sich sukzessive die Sprache eines Systems aneignete, gegen das sie eigentlich vorgab zu kämpfen – die Sprache des Faschismus“, hört man weltanschauliche Reflexionen und Dokumente einer Kapitulation. Das Textmaterial der RAF, aus dem sich Koppelmann bedient hat, reicht von den Jahren 1982 bis 1992.

Dass die Ausgangsthese von der sukzessiven Faschisierung der RAF in deren Sprache hier nicht nur nicht belegt, sondern geradezu widerlegt wird, ist nicht das einzige, was in diesem Hörspiel nicht zusammenpasst. Eigentlich passt in diesem Hörspiel kaum etwas zusammen. Ginge es um eine Sprache der Gewalt – und in den Texten der RAF wird wiederholt die strukturelle Gewalt eines imperialistischen Kapitalismus angeprangert –, dann hätte man den RAF-Texten kapitalismusfreundliche Texte gegenüberstellen müssen, deren implizite Gewaltförmigkeit aufzudecken wäre.

Aber die Stimme von Alfred Herrhausen, eines Kapitalisten ‘mit menschlichem Antlitz’, der sich als reflektierter und kritischer Rationalist im Sinne Karl Poppers bezeichnet und für einen Schuldenerlass gegenüber der sogenannten Dritten Welt einsetzt, lässt sich nicht so einfach in das von der RAF gepflegte Feindbild einpassen. Um eine ideologische Gegenposition aufzustellen, hätte es nicht einmal genügt auch den Herrhausen-Text von einem Schauspieler nachsprechen zu lassen, obwohl das im Rahmen der Hörspielästhetik logisch gewesen wäre.

Doch nicht nur das übliche Zwischen-den-Zeilen-Lesen, was die Voraussetzung der Betrachtung von Kunstwerken überhaupt ist, stößt hier an seine Grenzen. Denn was eigentlich in dem Stück zu hören ist, ist nur auf einer vermittelten Ebene die Sprache der Gewalt. Anders als die Beleidigungen, Gewaltandrohungen und Opfermarkierungen mit Wohnort und Arbeitsstelle, die gegenwärtig in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter artikuliert werden, hat man es in Koppelmanns Auswahl mit eher weltanschaulichen Texten und Tönen zu tun. Da wird von Seiten der RAF die romantische Sehnsucht nach einer Welt artikuliert, die nicht aus „Schein, Ware, Verpackung, Lüge und Betrug“ besteht, während Alfred Herrhausen von der Verantwortung für die Erhaltung der natürlichen Ressourcen redet. Er wollte beispielsweise den brasilianischen Regenwald als „Treuhandgut der ganzen Menschheit“ verstehen und hielt es für eine „irrige Annahme“, dass Natur ein nationales Eigentum sei, über das „nur die nationalen Regierungen nur nach ihren Interessen verfügen“ dürften.

Wenn es schon nicht primär um die Gewalt noch um ihre Steigerungsform, die nihilistische, faschistische Gewalt, geht, so hätte man Koppelmanns Stück doch als dokumentarisches Feature hören können. Doch leider liefert es dafür, abgesehen von der schon oft erzählten Geschichte der ersten Generation der RAF, nicht genug Kontext. Wer sich mit den kommunikativen Codes der Zeit nicht auskennt und etwa „Trikont“ nur für den Namen eines Plattenlabels hält, ohne zu wissen, dass man sich mit dem Gebrauch dieser Bezeichnung für die sogenannte Dritte Welt der Entwicklungsländer als Vertreter einer linken Diskurskultur identifizierte, dem werden auch andere Zwischentöne entgehen.

Kurz, was bleibt von einem Stück übrig, dessen Intention konzeptuell nicht eingelöst wird, das weder als Hörspiel noch als Feature funktioniert, in dem ästhetisch inkompatibles Material auf fragwürdige Weise zusammengezwungen wird, in dem ausgewiesene Experten unter Niveau eingesetzt werden und die Hörer all die intellektuelle Arbeit zu leisten haben, die im Vorfeld der Produktion zu leisten gewesen wäre? Es bleibt das Ausgangsmaterial und die Erkenntnis, dass die Diskussionen, wie wir sie gegenwärtig anhand des Klimawandels erleben, bis in die einzelnen Argumentationsfiguren genau so schon von 30 Jahren geführt worden sind.

Über die Sprache der Gewalt erfährt man wenig in dem Stück, dazu hätte man vielleicht nicht die Texte einer nie in der Bevölkerung verankerten Desperadotruppe wie der RAF zum Gegenstand machen sollen, sondern sich stattdessen beispielsweise das Manifest des norwegischen Rechtsterroristen und Massenmörders Anders Breivik ansehen müssen. Eine Inszenierung dazu von Milo Rau am Deutschen Nationaltheater in Weimar 2012 wurde kurz vor der Premiere abgesetzt und konnte nur in einer Ausweichspielstätte stattfinden. Offenbar scheut man immer noch vor einer Auseinandersetzung mit dieser  Sprache der Gewalt zurück.

Jochen Meißner – Medienkorrespondenz 25/2019

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